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Wir stehen vor einem Rätsel

Interview with Spiegel Magazin

Interview mit Christoph Seidler

SPIEGEL:Mehr als 1200 Mars-Tage lang hat die Nasa-Sonde »Insight« nach Erdbeben auf dem
Roten Planeten gelauscht. Nun hat es ordentlich gekracht. Was war da los?

Stähler: Am5. Mai, genau vierJahre nach dem Start, haben wir die Daten bekommen, die auf ein Marsbeben der Magnitude 5 in der Nacht zuvor hindeuten. Eigentlich ist der Wind auf dem Mars
nachts so laut, dass wir gar nichts messen können. Doch dieses Ereignis war so
stark, dass es alles überlagert hat. Die ersten Wellen sind nach fünf Minuten
bei unserem Detektor angekommen. Danach sind sie noch neun Stunden lang mehrfach umden Mars gelaufen. Auf der Erde ist so etwas nicht ungewöhnlich, von dort war
so etwas aber völlig unbekannt.

SPIEGEL: Wiehätte sich das Beben für einen menschlichen Astronauten auf der Marsoberfläche
angefühlt?

Stähler:Ein Astronaut hätte das amEpizentrum sehr deutlich gespürt. Auf der Erde kann ein flaches Erdbeben dieser Magnitude schon zum Einsturz vonGebäuden oder zu Hangrutschungen führen. Das ist schon wirklich gefährlich!

SPIEGEL: Siehaben 1200 Mars-Tage lang fast nur Mini-Vibrationen gemessen. Haben Sie noch
damit gerechnet, so ein Ereignis zu sehen?

Stähler: Nein,das Beben war eine echte Überraschung! Es war zwar nur eine Magnitude stärker
als die bisher registrierten. Aber das bedeutet, dass es 30 bis 40-mal mehr
Energie freigesetzt hat. Es ist das mächtigste Beben, das je auf einem anderen
Himmelskörper nachgewiesen wurde.

SPIEGEL: Wiekam es wohl zu dem Ereignis? Gibt es auf dem Mars Plattentektonik wie auf der
Erde?

Stähler:Der Mars hat keinetektonischen Platten und die bisherigen kleinen Beben standen wahrscheinlich
mit Vulkanismus im Zusammenhang. Wir wissen noch nicht, was das aktuelleEreignis im Detail ausgelöst hat und stehen vor einem Rätsel. Das Beben ist von
einem Ort ausgegangen, wo wir noch keine anderen Erdstöße beobachtet haben. Wir
wälzen jetzt unsere geologischen Karten und Satellitenbilder, um die
Quellregion zu finden.

SPIEGEL:Das Seismometer auf »Insight« sollte auch den Einschlag von Meteoriten auf dem
Mars hören können. War das aktuelle Ereignis vielleicht genau das – ein Brocken
aus dem All, der auf die Oberfläche gekracht ist?

Stähler:Das ist möglich. Wir haben dafür aber noch keinen Beweis.

SPIEGEL:Was verraten ihre Messungen über den inneren Aufbau unseres Nachbarplaneten?

Stähler: Fast alles, was wir über dasInnere unserer Erde wissen, haben wir durch die Beobachtung seismischer Wellen
gelernt, zum Beispiel wenn sie an der Grenze zwischen Erdkern und -mantel
reflektiert werden. Diese Technik hilft uns auch auf dem Mars weiter. Durch die
Analyse bisheriger Beben können wir sagen, dass er einen Kern aus flüssigem
Eisen hat. Darüber liegen ein Mantel aus Silikatgestein und schließlich die Kruste aus Basalt.

SPIEGEL: DerMars ist also ganz ähnlich aufgebaut wie unsere Erde.

Stähler: Ja,unter anderem ist auch der Kern im Verhältnis zum Gesamtplaneten genauso groß
wie bei uns, obwohl unserPlanet viel dichter ist als der Mars. Vielleichtliegt es daran, dass dieser weiter außen im Sonnensystem liegt. Daher wurden
wohl bei seiner Bildung mehr leichtere Elemente wie Wasserstoff und Sauerstoff
eingebaut.Außerdem gibt es auch einige klare Unterschiede, so erzeugt der Kern auf dem
Mars kein Magnetfeld, obwohl er auch flüssig ist.Die Oberfläche ist dadurch viel stärker der Strahlung aus dem All ausgesetzt als
unsere Erde.[SCS1] 

SPIEGEL: DieSonde hat, bei aller Freude über die aktuelle Messung, mit ernsthaften
technischen Schwierigkeiten zu kämpfen. Der Strom ist so gut wie alle. Woran
liegt das?

Stähler: Mitder Zeit lagert sich Staub aus der Atmosphäre auf den Solarpaneelen ab. Das
wissen wir auch von anderen Missionen. Dadurch sinkt die Stromausbeute mehr und
mehr – bis irgendwann die Instrumente nicht mehr genügend Energie bekommen und
man die Sonde aufgeben muss.

SPIEGEL:Warum gibt es keine Vorrichtung, um den Staub abzuwischen?

Stähler: Dasklingt erst einmal ganz praktisch, klar. Der Einbau eines Besens oder eines
Scheibenwischers hätte die Mission aber deutlich komplizierter gemacht. Jedes
bewegliche Teil ist auch eine mögliche Fehlerquelle. Es kann sich ungewollt
lösen und zum Beispiel nach der Landung das Öffnen der Solarpaneele blockieren.
Dann hat man gar nichts erreicht, weil der Strom komplett fehlt. Stattdessen
wurden die Solarzellen so groß gebaut, dass man zumindest mit einer teilweisen
Staubbedeckung noch genug Strom bekam. Statt zwei Jahren geplanter
Missionsdauer haben wir auf diese Weise immerhin dreieinhalb geschafft.

SPIEGEL:Können nicht die Marsstürme den Staub wegwehen?

Stähler: Beianderen Missionen hat das tatsächlich funktioniert. Da haben, wenn man so will,
Mini-Wirbelstürme tatsächlich geholfen, den Schmutz zu entfernen. An der
Landestelle von »Insight« gab es solche sogenannten Staubteufel aber nicht.
Offenbar hat man woanders einfach mehr Glück gehabt.

SPIEGEL:Zwischendrin griff die Nasa sogar zu einem paradox erscheinenden Putzmanöver,
das man mit dem Slogan »Reinigen durch Schmutzigmachen« zusammenfassen könnte.

Stähler:Ausgangspunkt war eine Zufallsbeobachtung. Wir hatten einen Teil des
Seismometers eingegraben, um es besser vor Temperaturschwankungen zu schützen.
Dabei war ein Teil des grobkörnigeren Materials versehentlich auf der Abdeckung
gelandet. Zu unserer Überraschung konnten wir sehen, wie es beim
Herunterrieseln den feinen Staub einfach mitnahm, der sich dort angesammelt
hatte. Dieselbe Technik haben wir dann bei den Sonnensegeln angewendet. Da
haben wir von weit oben Sand ausgestreut, der vom Wind über die Paneele
gepustet wurde. Dabei hat er den Schmutz mitgerissen – und die Energieausbeute
ging zumindest zeitweise wieder deutlich nach oben. Und ohne diese paar Extratage hätten wir dasaktuelle Beben gar nicht mehr detektieren können!

SPIEGEL: DreiTage nach der Messung des Rekordbebens fiel die Sonde wegen Strommangels
trotzdem in eine Art Schlafzustand. Wacht sie je wieder auf?

Stähler:Es handelt sich eher um einen Sicherheitsmodus. Die Sonde wird jetzt versuchen,
zu vorbestimmten Zeiten mit Satelliten im Orbit Kontakt aufzunehmen. Wenn das
klappt, können wir sie wieder wecken. Das werden die Techniker in den kommenden
Tagen und Wochen versuchen.

SPIEGEL:Wären Sie sehr traurig, wenn »Insight« gar nicht mehr aufwacht?

Stähler:Auf der Sonde sind noch ein paar zusätzliche Daten zum großen Beben
gespeichert, die bisher noch nicht zur Erde übertragen werden konnten. Die
hätten wir schon gern noch. Wenn das aber nicht klappt, dann hätte »Insight«
mit einer grandiosen Schlusspointe ihr Bühnenprogramm beendet.